Neuer experimenteller Impfstoff gegen Nervenentzündungen
Tübinger Hirnforscher arbeitet mit 'Bibliothek' künstlicher Proteinabschnitte

Professor Hermann Schlüsener vom Tübinger Institut für Hirnforschung hat einen neuen Impfstoff gegen die drei Autoimmunkrankheiten Enzephalomyelitis (Modell der Multiplen Sklerose), Uveitis (Augenentzündung) und Neuritis (Modell der Polyneuropathie), eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, entwickelt.

An Autoimmunerkrankungen leiden etwa zwei Prozent der Bevölkerung. Neben genetischen Faktoren spielen auch Umwelteinflüsse und hormonelle Effekte eine Rolle im Krankheitsverlauf. Die Erkrankungen resultieren aus einem Defekt im Immunsystem, bei dem bestimmte Proteine - das sind komplexe Eiweissmoleküle - von der körpereigenen Abwehr als 'Feinde' erkannt und angegriffen werden. Dies führt zur Entzündung, schliesslich zeitweiligen Lähmung und langfristigen Zerstörung von Nervensträngen.

Professor Schlüsener konnte diejenigen Abschnitte der körpereigenen Proteine identifizieren, die von der Körperabwehr als krank eingestuft werden. Es genügt nun, lediglich diese Abschnitte durch synthetisch hergestellte Genkombinationen abzuschirmen, um die Entzündungen zu stoppen oder gar nicht erst auftreten zu lassen.

Der von dem Hirnforscher entwickelte Impfstoff ist bereits an Tiermodellen erfolgreich erprobt. Geimpfte Ratten erkrankten nicht mehr, behandelte gesundeten rasch.

Die Anwendung derartiger Impfstoffe kann in klinischen Studien untersucht werden, für die ein industrieller Partner gefunden werden müßte. Einzelne Module des Impfstoffs müßten für den Einsatz beim Menschen ausgetauscht werden. Als weitere Aufgabe hat sich Hermann Schlüsener die Vereinfachung der Impfungen, etwa in Form von Nasentropfen anstatt von Spritzen vorgenommen. Damit könnte die Behandlung erkrankter und gefährdeter Menschen so leicht werden wie die Polio-Schluckimpfung.

Grundlage für die Konstruktion der wirksamen Molekülketten war die Erstellung einer 'Bibliothek' künstlicher Gene. In ihr werden, wie in einem Technikbaukasten, Funktionselemente gesammelt und sortiert. In einem einfachen, klassisch biochemischen Verfahren können diese Bausteine zu einem neuen Stoff zusammengesetzt werden. Einen weiterer Schritt zum endgültigen Aufbau, das 'Design' des Moleküls, erledigen die Wissenschaftler am Computer.

Die Tübinger 'Bibliothek' beruht auf gründlicher Datenbankrecherche und nutzt damit bereits bestehendes Wissen. Diese Arbeit ist letztlich kostengünstiger und effektiver als die Betreibung eigener Sequenziermaschinen. Auf diese Weise sollen auch neue Impfstoffe gegen weitere Autoimmunerkrankungen entwickelt werden.

Nähere Informationen:

Professor Dr. Hermann Schlüsener
Institut für Hirnforschung
Calwerstr. 3
72076 Tübingen
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